PD Dr. Christina Boll leitet am Deutschen Jugendinstitut (DJI) die Abteilung „Familie und Familienpolitik“. Als promovierte Volkswirtin und habilitierte Soziologin wirkte sie am Zehnten Familienbericht zur Situation von Allein- und Getrennterziehenden mit. Im Gespräch zeigt sie auf, wie Unternehmen diese als Fachkräfte gewinnen und stärken können.
Frau Boll, was ist genau der Unterschied zwischen allein- und getrennterziehenden Eltern?
Wir sprechen von Alleinerziehenden, wenn wir von einem Elternteil ausgehen, das mit einem oder mehreren Kindern in einem Haushalt lebt und überwiegend oder sogar ganz allein für die Betreuung, Versorgung und Pflege dieses Kindes verantwortlich ist. Anders ist es bei den Getrennterziehenden: Zwei Elternteile erziehen und betreuen hier ein gemeinsames Kind in zwei verschiedenen Haushalten. Mit der amtlichen Statistik können die beiden Gruppen leider bisher nicht separat identifiziert werden, weshalb häufig auf repräsentative Surveys wie AID:A (Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten) des DJI zurückgegriffen wird.
Was sind für unseren Kontext die wichtigsten Zahlen aus dem Zehnten Familienbericht?
Es gibt 1,69 Millionen Alleinerziehende, fast neun von zehn davon sind Frauen. Eine weitere Zahl, die ich sehr eindrücklich finde: Wir haben in nur 8 Prozent der Familien in Deutschland die Situation, dass das Kind mindestens zehn Nächte pro Monat beim externen Elternteil verbringt. Das heißt, es gibt vorherrschend immer noch das sogenannte mütterliche Residenzmodell, bei dem die Kinder bei der Mutter wohnen. Der Vater betreut dann entweder gar nicht mit oder nur zu einem kleinen Teil.
Wie können Unternehmen herausfinden, wer bei ihnen allein- oder getrennterziehend ist, und was können sie für diese Beschäftigtengruppe tun, um sie als Fachkräfte zu binden?
Ich empfehle eine Beschäftigtenbefragung, die eine gute Balance hält zwischen dem Erkenntnisinteresse und – trotz der Anonymität – der Achtung der Privatsphäre der Beschäftigten. Wichtig ist, dass Sie als Arbeitgeber die Ziele einer solchen Befragung transparent machen: Sie sollten immer kommunizieren, dass Sie den Alleinerziehenden ein noch besseres Unterstützungsangebot unterbreiten möchten. Außerdem empfiehlt die Sachverständigenkommission zum Zehnten Familienbericht, dass Teilzeitmodelle nicht nur bei der regulären Beschäftigung eine Rolle spielen sollten, sondern sehr viel stärker auch bei der Aus- und Weiterbildung. Schließlich können Unternehmen gerade für Alleinerziehende ein noch größeres Maß an Flexibilität bieten. Denn diese Beschäftigtengruppe leidet unter chronischem Zeitmangel, Stichwort: Schließzeiten der Kitas. Wenn die Lage der Arbeitszeit und – wann immer möglich – auch der Arbeitsort flexibel gewählt werden können, hilft dies schon sehr. Unterstützend wirken auch Vorbilder, gerade männliche. Wenn sie deutlich sichtbar Sorgearbeit in der Familie übernehmen, so fühlen sich getrenntlebende Väter motiviert, es ihnen gleich zu tun.